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Sonntag, 5. September 2010

Die Rassisten sind frei, wer kann sie erraten?

Die Fälle Sarrazin und de Gucht zeigen, dass die Maßstäbe durcheinandergeraten sind, die bestimmen, wie weit Meinungsfreiheit gehen darf.

"Gebt Gedankenfreiheit!", bittet der Marquis von Posa, ein heimlicher Kämpfer für Freiheit, den spanischen König Phillip, in einem der dramatischten Szenen des ganzen Stücks (3.Akt, 10.Auftritt). Doch der Marquis wird getötet und seine Ideale, für die er gekämpft hat, konnte er nicht erreichen. Die zeigt tragischerweise, wie schwierig es ist, seine Meinung zu sagen, wenn sie der landäufigen Meinung widerspricht. Immer diese Unterdrücker!

"BILD kämpft für Meinungsfreiheit: Das wird man wohl noch sagen dürfen", lautet der Titel der letzten Bild-Zeitung, worauf einige Fragen aufgelistet werden, um die es hier aber weniger gehen soll. Scheinbar ein zweiter Posa, der sich hier zeigt. Doch der Hintergrund ist, auch wenn es auf dem Titel nicht erwähnt wird, doch eindeutig und führt dazu, dass der "Kampf" für Meinungsfreiheit doch kritisch zu betrachten ist: der Fall Sarrazin, aus dessen Buch die Bild-Zeitung einige Auszüge vorabdruckte. Erkennbar ist dies auch auf der (oben verlinkten) Bild-Homepage, auf der ein Bild mit einem hilflosen Sarrazin zu sehen ist, der von Reportern umringt wird. Daneben steht in genauso typischer Bild-Manier: "Wir wollen keine Sprechverbote!". Immer dieser Unterdrücker!

Ist also nicht nur die Bild-Zeitung, sondern auch noch - und durch das "tragische" Element noch eher - Sarrazin als Nachfolger Posas zu sehen, der nur seine Meinung sagt, die aber leider nicht mit der öffentlichen Meinung übereinstimmt? Es ist viel gesagt worden über Sarrazin und seine Provokationen. Die einen sind empört, die anderen stimmen ihm zu und sehen ihn als ein Opfer von Zensur - ein Marquis von Posa also.

Aber nicht erst mit seiner Aussage, jeder Jude trage "ein bestimmtes Gen" - was wissenschaftlich falsch ist -, sondern auch mit seinen Ausführungen über muslimische Einwanderer, die er, zusammengefasst, als dumm und faul ansieht, Eigenschaften, die sich sogar vererben würde, zeigt er rassistische Züge, die an die Grenzen der Meinungsfreiheit führen, sie sogar überschreiten. Denn sie verletzen den ersten Artikel des Grundgesetzes: "Die Würde des Menschen ist unantastbar." Mehr möchte ich zu Sarrazin an dieser Stelle nicht sagen, da schon genug gesagt wurde, auch wenn das anscheinend noch nicht bei jedem angekommen ist. Leider gibt es immer noch Leute, die ihm einfach glauben.

Doch es scheint ein zweiter Sarrazin auf die öffentlichen Bühne getreten zu sein: Karel de Gucht, der in einem Interview sagte, dass die meisten Juden denken würden, "dass sie recht haben" und kritisiert die jüdische Lobby in den USA, die unter anderem dafür verantwortlich seien, dass es nie zu Frieden im Nahen Osten kommen wird. Es sei nicht einfach, "selbst mit einem gemäßigten Juden ein rationales Gespräch über das zu führen, was sich im Nahen Osten abspielt." Die Reaktionen von jüdischer Seite waren heftig: man warf ihm Pauschalisierung vor. Das Europäische Jüdische Kongress verglich ihn sogar mit Sarrazin.

Ist dieser Vergleich gerechtfertigt? Nehmen wir, anders als man das bei Nazi-Vergleichen normalerweise tun sollte, diesen Vergleich mal ernst und untersuchen Unterschiede und Gemeinsamkeiten. Auf der einen Seite steht Sarrazin, jemand, der Muslime im Ganzen diffamiert, ihnen Faulheit und Dummheit vorwirft und dies an bestimmten Genen festmacht: Vergleiche mit nationalsozialistischen Rassenideologien sind in diesem Fall nicht zu hoch gegriffen. Denn dem dummen und faulen Moslem steht der kluge und tüchtige Deutsche gegenüber. Dass er auch andere Migranten lobt, etwa aus Vietnam, ist kein Argument gegen diesen Vergleich, da die Nazis auch Rassen hatten, denen sie eine Nähe zu den Ariern zusprachen auf ihrer Rassen-Pyramide.

Auf der anderen Seite steht De Gucht, der versucht, politische Aussagen über jüdische Einstellungen gegenüber dem Nah-Ost-Konflikt zu machen, diese aber pauschal ausfallen. In Ansätzen hat er ja sogar recht. Dass seine Aussagen über jüdische Lobbys an Verschwörungstheorien erinnern, ändert nichts daran, dass sie nicht falsch sind, denn einige amerikanisch-jüdische Lobbys (eine Pauschalisierung, die wohl der Interview-Situation geschuldet ist) versuchen sehr stark die amerikanische Außenpolitik in Bezug auf Israel zu beeinflussen und gegen eine Zwei-Staaten-Lösung sind (sehr einflussreich ist die Lobby Aipac). Seine Aussagen über Juden mögen vielleicht wirklich pauschalisierend sein. Schließlich gibt es sicher auch Juden, die nicht so denken, die alles für einen Frieden tun würden (so etwa die amerikanische Lobby J Street) - und Juden, denen das egal ist, was dort passiert, da sie sich nicht als Juden fühlen.

Letztendlich ist aber der Vergleich mit Sarrazin doch etwas übertrieben. Diplomatisch bzw. differenziert waren De Guchts Aussagen mit Sicherheit nicht. Doch ihm gleich mit einem doch sehr offensichtlichen Rassisten zu vergleichen, ist übertrieben. Der Unterschied ist der, dass der eine (Sarrazin) die Grenzen der Meinungsfreiheit überschreitet und der andere nur nicht gerade klug formuliert. De Gucht: vielleicht kein Posa, aber auch kein Rassist.

Sonntag, 29. August 2010

Kurzes Plädoyer für lange Einträge

Hier in Stichpunkten mein Plädoyer (Kurzeintraglesern bzw. Lesern, die eigentlich nie Blogs lesen, gewidmet)

Lange Einträge
  • zeigen Themen in ihrer vielfältigen Vielfalt
  • Die Sprache nicht reduziert
  • zeigen, dass der Blogger sich Mühe gibt, als wenn er z.B. nur Stichpunkte dahinschreibt
  • sind meistens differenzierter und sachlicher (und wenn nicht dann merkt man das sehr früh)
  • halten die Leser, die keine Lust auf lange Einträge haben, davon ab, den Eintrag zu lesen und ihn unsachlich zu kommentieren
  • hinterlassen mehr als nur Eindrücke

Mittwoch, 25. August 2010

ER hat geantwortet!

Nein, nein, nicht der liebe Gott - das wäre auch seltsam - sondern der Betreiber des Blogs Lizas Welt antwortete mir auf meine Email, in der ich ihn auf meinen Post über die Golems von heute aufmerksam gemacht habe, wo eben auch seine Texte kritisiert werden. Und doch war er sehr nett zu mir und ist sogar bereit eine kleine Diskussion per Email zu "veranstalten", natürlich soweit er Zeit hat. So hat er mir schon einige Texte bezüglich des behandelten Themas geschickt und  ich werde mich so schnell wie möglich daran machen, diese zu lesen. Für mich als kleinen Blogger ist es natürlich eine Ehre, so dass ich dies unbedingt erwähnen musste.
Nur hat leider der Herr Broder noch nicht geantwortet, was vielleicht an Zeitmangel liegen kann. Bin gespannt, ob auch er antworten wird.

Dienstag, 24. August 2010

Jakobiner des Internets

Wie übereifrige Netz-Bürger die ohnehin schon aufgeheizte Lage um die Loveparade verschärfen, indem sie wikileaks spielen.

Es fing doch alles so gut an: der Ballhausschwur setzte ein Zeichen, die Bastille war erstürmt, der König geköpft. Das hätte der Zenit sein sollen, ab hier hätte es bergab mit der Gewalt gehen soll und rauf mit der Arbeit an einem Staat, der jene Ideale anstrebt, in Gesetz und Tat, für die diese Revolution doch steht: Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit. Müssen denn alle Revolutionen im Blut enden, wie Twain meinte? Aus der amerikanischen wurde doch auch etwas, vielleicht nicht Ideales, aber Annehmbares, etwas Ausbaubares. Aber es musste anders kommen: der sogenannte "Wohlfahrtsauschuss" unter der Leitung Robespierres führte diese Revolution ad absurdum.

Es hat so gut angefangen... Quelle: http://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Datei:Hinrichtung_Ludwig_des_XVI.png&filetimestamp=20051204173502


Es fing doch alles so gut an: das Internet brachte Freiheit, Transparenz, so dass, irgendwann, die Welt demokratischer werden könnte. Ungerechtigkeit sollte offenbart und angeprangert werden, so dass die Welt am Ende besser wird - Friede, Freude, Eierkuchen also, die Ideale dieser Revolution, einer digitalen. Wikileaks sollte ein großer Schritt dazu werden, ein Schritt für eine Welt, in der es immer schwieriger sein sollte, Unrecht unentdeckt zu begehen. Das Internet ist also das absolut Gute!

Wer kontrolliert die Kontrollierer? Quelle: http://blog.rhein-zeitung.de/files/2010/07/Wikileaks_-logo.jpg


Doch das Internet ist nur so gut wie diejenigen, die es machen, womit nicht nur Google und co. gemeint sind, auch wenn sie sicher am bösesten sind, da sie ja unsere Fassaden fotografieren! Auch die Blogger und Twitterer, die wirklichen Bürger des Webs, sind damit gemeint. Das Internet ist nichts an sich Gutes, denn Freiheit bringt auch Verantwortung mit sich, was schon Sartre wusste, der uns zur Freiheit verdammte. Zweifelhaft ist, wie verantwortungsvoll Wikileaks ist, da dort geheime Dokumente veröffentlich werden, die uneditiert veröffentlicht, gefährlich sein können, während beim Spiegel, Gurdian und New York Times Namen in den Zusammenfassungen dieser Dokumente weggelassen wurden.

"Die Anlagen enthielten ungeschwärzte, personenbezogene Daten, begründete ein Stadtsprecher das Verbot", heißt es bei heise über den Verbot der Stadt Duisburg, die Dokumente über die Vorbereitungen der Loveparade im Internet zu verbreiten. Was als Ausrede anmutet, wird angesichts der Tatsache, dass das sogar stimmt und dass die Hetze gegen die Veranstalter und Beamten, die diese Katastrophe möglich machten - wer wie viel Schuld trägt, ist aber immer noch nicht ganz geklärt -, nicht gerade milde Ausmaße angenommen hat, in ein anderes Licht gerückt: dass nun ein Kopfgeld auf Sauerland ausgesetzt wurde, ist nur auf dem ersten Blick lächerlich, weil es an Western-Filme erinnert. Es zeigt die angespannte Atmosphäre und macht damit den Verweis auf den Personenschutz glaubhafter, denn diese Leute haben wohl zu recht Angst, dass diese Veröffentlichung Gefahren birgt.

Doch der Übereifer der Web-Aktivisten hat hier überhand genommen. Selbst die Kommentare zu der (oben verlinkten) Nachricht, dass Duisburg nun die Dokumente, ohne die Anlagen mit den personenbezogenen Daten, ebenfalls veröffentlichte, lassen keine Einsicht und kein Bedauern oder Kritik anmerken. Auch zynische Kommentare mit dem Verweis auf den von der CDU geforderten Internet-Pranger fehlen nicht. Vielleicht kein Schritt aus Prinzip, aber immerhin ein Entgegenkommen, ist diese Veröffentlichung  dann doch - aber ein zu spätes: die Jakobiner des Internets haben dafür gesorgt, dass das Internet diese Dokumente nicht mehr vergisst, so auch die Namen gefährdeter Personen.

Samstag, 21. August 2010

Golems laute Geschwister

Pro-israelische Rhetorik in Weblogs, anhand der Beispiele Henryk M. Broders und Lizas Welt

16.Jahrhundert, Josefstadt, jüdisches Viertel Prags: Irgendwie musste man auf die ständigen Pogrome der christlichen Bürger Prags reagieren, die die Juden verantwortlich für das Verschwinden von Kindern machten: angeblich würden sie die Kinder in einem Ritual ermorden und ihr Blut trinken. Rabbi Löw entdeckte irgendwann, wie auch immer, eine Möglichkeit sich dagegen zu wehren, die Bewohner Josefstadts vor Angriffen christlicher Mobs zu bewahren. Er erschuf einen Golem, ein Wesen aus Lehm. Dieser Golem patrouillierte im jüdischen Viertel und beschützte somit die jüdischen Bürger.

Das Urbild des Israel-Verteidigers wird erschaffen: der Golem  Quelle:http://www.zwoje-scrolls.com/zwoje31/text06p.htm

Anscheinend schaffen es die Rabbiner die Golems immer menschlicher aussehen zu lassen. Oder es sind wirklich Menschen (nein, ich zweifle nicht ernsthaft an der Menschlichkeit der hier besprochenen Blogger bzw. Journalisten). Zumindest gibt es wieder Verteidiger des größten Sündenbocks der Geschichte. Diese aber haben - anders als Löws Golem, der nicht sprechen konnte - eine nicht gerade kleine Klappe, die ironisch, sarkastisch, oft Wahres, sehr oft Anzuzweifelndes, selten Differenziertes von sich gibt. Ihre Texte bzw. Blogeinträge folgen einem Ziel: Israels Feinde zu kritisieren, zu entwaffnen, gleich dem Golem, nur lauter.

Grundsätzlich ist dagegen gar nichts einzuwenden. Israel ist umkreist von Feinden, die nichts dagegen hätten, wenn dieser Staat nicht mehr existieren würde. Doch ist dann gleich alle Welt der Feind Israels? Und ist jede zweifelhaft vernünftige Politik damit zu rechtfertigen? Diese Fragen, die wieder in der letzten Debatte um die Gaza-Flotte aufbrachen - weniger wegen der Schießerei an der Grenze zu Libanon, da Israel sich nur verteidigt hat - sollen hier aber nicht behandelt werden. Vielmehr um die Rhetorik der Texte geht es, deren Anliegen oft über das Ziel hinausschießen - was nichts daran ändert, dass sie, literarisch gesehen, oft sehr ansprechend sind und nicht einen gewissen Witz (im ursprünglichen Sinne des Wortes) vermissen lassen.

Der Irre von Zion
 Einer dieser Verteidiger gegen den Antisemitismus bzw. Antizionismus heißt Henryk M. Broder. Der am 20.August 1946 in Kattowitz Geborene schreibt ab und zu für den Spiegel, für die Zeit etc. Das M stehe angeblich für Modest, dabei ist er nicht gerade "bescheiden" und "zurückhaltend" - doch widerlegt das nicht das nomen est omen, da es eben nicht dafür steht, sondern für Marcin. Die Selbst-Umtaufung ist aber wohl eines der ironischen Finten, die zeigen, dass man ihn nicht immer ganz so ernst nehmen darf. Doch auch in der scharfen Form der Ironie, dem Sarkasmus, ist er geübt. Dies zeigt er etwa im "Fazit" des Artikel "Die edlen Wilden":

"Ob eine ZDF-Moderatorin bei einem Fussballspiel einen “inneren Reichsparteitag” oder einen seriellen Orgasmus erlebt, geht mir vollkommen am Arsch vorbei. Und den würd ich mir nicht einmal im Busch mit der FR abwischen."

Dass dieser Sarkasmus hier eine vergleichsweise milde Form angenommen hat, sagt viel über Broders Stil aus. Denn die hier zitierten Sätze sind - für einen Sarkasten wie mich - noch genießbar, ohne dass man sein Lachen wieder herunterschlucken muss. Doch sobald Broders Sarkasmus, oder besser: Zynismus, sich mit Nazi-Vergleichen paart, die den Zweck haben, den Angegriffenen ins rechte Licht zu rücken, ist es mit dem ungebremsten Genießen vorbei:

"Mellenthin liebt nicht nur die edlen Wilden, er ist selber einer. So wie auch Heinrich Hiimmler einer war, der in seiner Posener Rede den von Idealen und Idealismus geleiteten Täter dem gegenübergestellt hat, der nur interessengetrieben handelt."

Anlass für diesen zügellosen Vergleich ist eine Rezension ebendieses Mellenthins über Broders Buch "Hurrah, wir kapulieren", der er bescheinigt "bescheuert "zu sein, "wie fast alles, was er vollnüchtern von sich gibt".  Dass diese Rezension so bescheuert ist, würd ich nicht sagen - doch lässt sich darüber sicher streiten. Dennoch bleibt es nicht dabei, dass dieses Urteil gar nicht begründet wird. Auch muss er noch den armen Kritiker mit Himmler vergleichen, was den Eindruck verstärkt, dass Mellenthin ins Schwarze und die Eitelkeit Broders getroffen hat. Doch nicht nur Kritiker seiner Persönlichkeit vergleicht er mit Himmler & co., auch Israelkritiker müssen es sich dies gefallen lassen. Aber was wäre er auch für ein Golem, wenn er Israel nicht immer unerbittlich verteidigt, unabhängig wie richtig diese Kritik manchmal ist. Verteidigung heißt hier aber nicht differenzierte Gegenüberstellung, sondern polemisches Zurückschlagen.

Dies zeigt sich auch in einem Eintrag, in dem er lediglich zwei Auszüge aus Kommentare zur Israel-Politik nebeneinanderstellt, heißt, vergleicht und mit dem Titel: "Wer schreibt bei wem ab?" auf die Ähnlichkeit aufmerksam macht. Dass hier eine berechtigte, in manchen Punkten wohl kritisch zu betrachtende (etwa ist die Beurteilung der Rhetorik Ahmadinedschads doch eine Unterschätzung der Lage), Kritik an Israels Missbrauch des Holocausts auf der Internet-Seite der TAZ mit einem auf den ersten Blick fast identisch anmutenden Text auf der Homepage der NPD in Beziehung setzt, bewirkt, dass er sich nicht damit außeinanderzusetzen braucht. Schließlich lohnt es sich nicht mit Nazis, an dessen Seite Daniel Blax von Broder gestellt wird, zu diskutieren.

Das gleiche Prinzip zeigt sich in dem Veröffentlichen von Leserbriefen, die dümmer nicht sein können und recht witzig sind. Dass er hiermit zeigt, dass er auch Kritiker zu Wort lässt, ist nur ein oberflächlicher Effekt, der suggeriert: ich bin demokratisch, denn ich veröffentliche auch Kritik! Doch ist das nur Augenwischerei, da die eigentliche Wirkung ist, zu zeigen, wie eingeschränkt seine Gegner sind, die meistens entweder sehr rechts oder sehr links sind, so dass auch hier eine Außeinandersetzung nicht vonnöten ist und auch nicht wirklich stattfindet. Damit wird verdeckt, dass es auch Kritiker gibt, die differenziert argumentieren (bin gespannt, ob er in seinem blog auch hierauf verweist - ihm eine Email mit einem Link schicken, werd ich auf jeden Fall).

Die ewigen Palästinenser
Eine ähnliche Taktik verfolgt das Blog Lizas Welt. Ein oder mehrere Blogger schreiben hier über Fußball und Politik - womit hauptsächlich jede Politik, die irgendetwas mit Israel zu tun  hat, gemeint ist. Allein der Titel eines Eintrags verrät, wie auch hier jeglicher Kritik an Israel der Stachel herausgezogen wird: "Um zwölfe wird zurückgeniebelt"- ein Eintrag, in dem es um die Reaktion Niebels auf die Verweigerung Israels geht, in den Gaza-Streifen reisen zu dürfen, um dort ein Entwicklungsprojekt der deutschen Regierung zu besichtigen (etwas, das die Entrüstung Niebels verständlich macht, aber - oder gerade deswegen - im Eintrag unerwähnt bleibt). Jedoch muss man diesem Blog auch lassen, dass es sich wenigstens damit auseinandersetzt - auch wenn etwas einseitig. So wird beiläufig der Gaza-Streifen Hamastan genannt, was den Eindruck erweckt, als ob jeder Palästinenser hinter den Hamas stehe oder die Hamas gar ein anderer Begriff für Palästinenser ist, was beides nicht der Fall ist.

Die Flagge eines gefährdeten Staates Quelle: http://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/d/d4/Flag_of_Israel.svg


Überhaupt wird Kritik an der Gaza-Politik nur mit einer psychologischen Erklärung abgewehrt, dass es sich bei der Sorge um dieses Volk nur um eine Projektion (vor allem von links) handle. So etwa in dem Eintrag über linken Anti-zionismus, in dem die lächerliche Falschschreibung "Palistinänser" tiefenpsychologisch gedeutet wird - eben als ein Anzeichen dafür, dass dieser Einsatz nur Projektion ist für ihre Sehnsucht, Juden mögen von der Erde verschwinden. Man mag von dieser Interpretation halten, was man will (ich halte wenig davon), aber es bleibt dabei, dass sie ablenkt vom Gaza-Problem. Dass mancher Vergleich zwischen Gaza und Konzentrationslagern doch sehr übertrieben ist, ändert nichts an dem eigentlichen Elend der Bewohner von Gaza. Aber das wäre etwas, für das man Israel kritisieren sollte - dann besser gar nicht erwähnen.

Diese undifferenzierten und einseitigen Sichtweisen tragen wenig dazu bei, die Situation im Nahen Osten zu verbessern, geschweige denn Kritiker Israels zu überzeugen. Eher verhärten sie die Fronten und machen eine Verbesserung der Bedingungen der Diskussionen um dieses Thema nicht besser - obwohl gerade das nötig wäre. Denn auch der Golem der Sage wird zerstört, weil es irgendwann Amok läuft, unkontrollierbar wird - wobei Rabbi Löw ebenfalls zu Tode kommt, weil der Golem auf ihn fällt.


Disqus (3) stiehlt Kommentare!

Naja, der Titel sagsts schon: ich hab mich bei Disqus angemeldet, da mir dieses Gadget doch sehr nützlich erschien. Damit kann man seine eigenen Kommentare und bekommene Kommentare gut organisieren. Auch fehlt der like- und not-like-button nicht, der der Ein-Klick-Generation entgegenkommt (darüber sollte ich auch mal was schreiben). Doch hat mich niemand davor gewarnt, dass die alten Kommentare im Nirvana landen - oder in Timbuktu? Auch wenn es nur einer war - dieser einer war ein sehr guter Kommentar, so dass es mir unendlich leid tut, dass er weg ist!

Samstag, 7. August 2010

Wer denkt, wird selig!

Warum Religionsunterricht wichtig ist - auch für Atheisten

So bunt kann dieses "höchst unvollständig, widersprüchlich-subjektiv[e]" Buch sein
Der alltägliche Wahnsinn im Klassenrum
Papierkügelchen fliegen durch die Luft, es wird getuschelt, gemalt - manchmal im Auftrag des Lehrers, meistens ohne -, auf der Tafel steht, bisher unbemerkt vom Lehrer, Ich liebe Reli, ob ironisch oder nicht, kann man sich denken. Dann, wenn dieses Buch, dieses schwere und unnötige Buch aufgeschlagen werden  muss, wird lauter getuschelt, da man ja jetzt aktiv ist. Und während irgendwelche unverständlichen, dich nicht angehende Sätze von einer monotonen Stimme heruntergeleiert werden, wird so viel verewigt wie es nicht die Pharaonen schafften, in jenem Buch, das niemanden interessiert. Einige müsssen auch ihren Schönheitsschlaf nachholen, was aber sicher besser geht, wenn wieder einmal ein Film gesehen wird.

So oder so ähnlich scheint- aus eigener Erfahrung oder der anderer - der Religionsunterricht fast immer vonstatten zugehen. Warum tut man das dann sich und den armen Kindern eigentlich an? Schließlich leben wir doch in einer gottlosen Zeit. Das haben sich wohl auch die Kommentatoren eines -  m.E. genialen -  Beitrags zur Religionsfrage Karsten112 und VolkerKirsch gedacht (zwar ist es hierfür nicht nötig, diesen Artikel gelesen zu haben, auf den mein Link hinweist, aber es ist wahrlich ein Gewinn ihn zu lesen, wie ich finde [was widerum zeigt, wie - naja-  konstruktiv manche Kommentare sind, so interessant sie auch sein mögen]) :


 "Nicht Glauben - sondern Denken  Karsten112  06.08.2010 um 18:29
Die Schulen sollten dazu übergehen den Schülern das Glauben ab und das Denken anzugewöhnen.
Religionsunterricht hat in Schulen nichts zu suchen.

Argumente?   J. Lmn
Mit welcher Begründung?

Argument für Abschaffung von Relgiionsunterricht   VolkerKirsch
Religion basiert auf Glauben an etwas, was niemand beweisen kann (z.B. Gott) oder höchst unvollständig, widersprüchlich-subjektiv Überliefertes (bibl. Schriften). Letztlich geht jegliche Religion zurück auf ein ideologisches Welt- und Menschenbild.
Jede Art von religiöser Ideologie hat in der Erziehung und WISSENS-Vermittlung von Schulen so wenig zu suchen wie irgendeine politische Ideologie oder ein Parteiprogramm. Gegen letzteres würden sich ja auch zu recht alle Eltern verwahren wollen. Religion hat zwar auch etwas mit ethischen Grundsätzen zu tun, diese basieren aber auf gerade auch in dieser Hinsicht höchst fragwürdigen Texten (v.a. AT). Deshalb unbedingt Ethik-Unterricht für alle konfessionellen und nichtkonfessionellen SchülerInnen. Aber keinerlei Religionsunterricht, in welcher Konfession auch Immer! Aber das Dilemma fängt schon mit der Taufe an, die auch erst ab 18 erlaubt sein sollte."


 Konsequent angewandte Religionsfreiheit, könnte man dazu sagen: auch das Klassenzimmer sollte frei von Religion sein. Andererseits auch konsequenter Zeitgeist, wie bereits angedeutet: wer braucht noch diesen J****a (hab halt Angst vor Steinwerfer), diesen Gott Abrahams, Josefs und wie sie nicht alle heißen. Gott ist tot, zumindest bei uns, im Westen, wie es so schön heißt, auch wenn er anderswo sehr langsam stirbt - Schweinebacke. Außerdem hat VolkerKirsch doch recht: Schule soll Wissen vermitteln und nicht Unbeweisbares, AberGlaube gehört nicht in die Schule, lediglich vielleicht als kleines Stoßgebet vor der Mathe-Arbeit.
So stellen sich die Kommentatoren wohl den Religionsunterricht vor.  http://www.passe-partout.de/content_de/20020927/01_12.php

Unterricht, nicht Predigt
Aber:  Was ist Religionsunterricht eigentlich? VolkerKirsch vergleicht Religionslehre mit Verbreitung von politischer Ideologie in der Schule. Auf den ersten Blick ein recht einleuchtender Vergleich, da der Religionslehrer ja auch einen Glauben vorstellt, was ja nichts anderes als eine Ideologie ist. Doch konsequenterweise müsste man dann auch den Politik-Unterricht bzw. die Sozialwissenschaften (ich kenn nur diese beiden Bezeichnungen; wie es in anderen Bundesländern heißt, weiß ich nicht) abschaffen, wo ja auch Ideologien von Marx' Kritik am Kapitalismus bis Westerwelles Kritik an der spätrömischen Dekadenz gelehrt werden. Bei diesem Vergleich merkt man den Fehler in der Prämisse der Kritiker am Religionsunterricht: Religionsunterricht ist keine Form von Predigt! Ob es immer so ist, weiß ich nicht, aber das ist zumindest meine Erfahrung. So verstehe ich auch den dazugehörenden Artikel im Grundgesetz: "[...] Unbeschadet des staatlichen Aufsichtsrechtes wird der Religionsunterricht in Übereinstimmung mit den Grundsätzen der Religionsgemeinschaften erteilt"(Hervorhebung vom Verfasser dieses Blogs, also von mir) Art.7,3. Zwar ist hier auch von den "Grundsätzen der Religionsgemeinschaft" die Rede, doch hat der Staat das Aufsichtsrecht, was heißt, dass der Unterricht, wie jeder andere Unterricht auch, vereinbar mit den demokratischen Grundwerten sein sollte. Die Schlussfolgerung lautet: nicht ein stupides Eintrichtern eines Glaubens, sondern kritische Außeinandersetzung mit Glaube, Religion und anderen Glaubensrichtungen - das ganz besonders!- sind Inhalt bzw. sollten Inhalt sein.

Gott lebt!
Warum ist das denn nötig? Einerseits weil Gott - ob leider oder nicht leider, bleibe dahingestellt - nicht tot zu kriegen ist. Gott lebt, Jesus vielleicht ja auch noch, solange es Kirchen gibt, in denen mehr oder weniger besuchte Gottesdienste stattfinden; solange nach Mekka oder sonstwohin gebetet wird; solange Menschen glauben und - ja, soetwas gibt es auch - es ihnen irgendwie hilft; solange aber leider auch sich Menschen für ihren Glauben (an Jungfrauen im Paradies) in die Luft sprengen; solange Priester Kinder vergewaltigen und die (nicht nur katholische) Kirche dies verschweigt und vertuscht. Vor allem in Zeiten des religiös motivierten Terrorismus muss ein Religionsunterricht differenziertes Denken lehren, damit die grunsätzliche Islamophobie nicht überhand gewinnt. Sachliche und gut fundierte Außeinandersetzung mit anderen Religionen ist vor allem in Zeiten der Globalisierung wichtig.

Studieren geht über Probieren
Und Atheisten bzw. Agnostiker - was sollten die denn unterrichtet bekommen?  Dass selbst der Teufel die Bibel zitieren kann, steht ja schon in der Bibel. Das Prinzip, man soll seinen Feind kennen, ist aber wohl in dieser Beziehung für die wenigsten einleuchtend und damit kein Argument, da die meisten Agnostiker bzw. Atheisten nicht wirklich aus Überzeugung, sondern eher aus Faulheit, Agnostiker bzw. Atheisten sind. Für viele vom diesen mag zwar folgendes Argument ebenso wenig überzeugend sein, doch ist es ein um einiges wichtigeres: ohne die Bibel versteht man die Geschichte Europas, vielleicht auch Amerikas, nicht. Das Buch der Bücher ist ein Kulturgut, das - egal, was wir davon halten - nicht mehr wegzudenken ist, aus der Geschichte, aus der Kunst und Literatur, aber auch aus der heutigen Gesellschaft. Genauso wie im Deutsch-Unterricht Goethe oder Schiller behandelt werden müssen, so gehört die Bibel einfach zum europäischen Menschsein dazu - Allgemeinbildung ohne eine gewisse grundsätzliche Kenntnis der Bibel ist keine Allgemeinbildung. Sie ist untrennbar mit unserer europäischer Identität verbunden, auch wenn sicher unsere Gesellschaft primär durch demokratische Werte prägt - was sich nicht unbedingt widerspricht.

Allgemein lässt sich also sagen, dass Religionsunterricht, wie er sein sollte, nicht mit Konfirmanden- oder Firmenunterricht zu verwechseln ist. Jeder Religionslehrer sollte dem Schüler die Freiheit geben, Religionen im allgemeinem oder im speziellen abzulehnen. Doch davor steht die Außeinandersetzung - denn was ist Ablehnung sonst anderes als ein Vorurteil und Faulheit, wenn wir das nicht mal kennen, was wir ablehnen? Also: die Bibel lesen, bevor man reinschmiert!